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INTERVIEW MIT DR. CLAUDIA STAHL, DER AUTORIN DES DEUTSCHSPRACHIGEN BUCHES: „ALOJZIJE STEPINAC. DIE BIOGRAFIE“ (Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2017: Stepinacs Leben ist eine moderne Heiligengeschichte

Dr. Claudia Stahl ist Richterin am Verwaltungsgericht in Cottbus. Familiär hat sie keine Verbindungen zu Kroatien. Sie ist in Hamburg geboren, römisch-katholisch und hat Jura, Musikwissenschaft und Philosophie studiert. Sie wohnt in Berlin und Cottbus.

Noch immer findet man viele Unwahrheiten und Fehleinschätzungen über das Leben und Wirken von Erzbischof Stepinac

Živa zajednica: Der selige Alojzije Stepinac ist in Kroatien ein großes und unerschöpfliches Thema, das internationale Ausmaße annimmt. Was hat Sie dazu angeregt, ein so ausführliches Buch in deutscher Sprache über den Seligen zu schreiben?

Dr. Claudia Stahl: Noch immer findet man viele Unwahrheiten und Fehleinschätzungen über das Leben und Wirken von Erzbischof Stepinac, dass er etwa ein Kriegsverbrecher, Nazi-Kollaborateur oder Fanatiker gewesen sei. Auf Kroatisch sind inzwischen die wichtigsten Quellen über ihn veröffentlicht. Auf Deutsch fehlte eine aktuelle, diese Quellen einbeziehende biografische Darstellung. Ich hoffe, dass mein Buch eine faire Diskussion auf einer seriösen Tatsachengrundlage ermöglicht.

Živa zajednica: Ihr Buch kann man als das umfangreichste Werk über den seligen Alojzije Stepinac in deutscher Sprache bezeichnen. Darin bringen Sie bislang unbekannte Dokumente, die die historischen Bedingungen seines Wirkens und sein Verhältnis zu Deutschland beleuchten. Liegt darin zugleich auch sein besonderer Wert?

Dr. Claudia Stahl: Das ist ein wichtiger Aspekt. Alojzije Stepinac war ein umfassend gebildeter und begabter Mensch. Er sprach neben Kroatisch und Latein fließend Deutsch, Französisch und Italienisch. Zur deutschsprachigen Kultur hatte er lebenslang eine enge Verbindung. In der Nachkriegszeit nahm er trotz seiner Isolation Anteil an den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Ausland. Er verfolgte die großen Debatten um die deutsche Wiederbewaffnung, die Koexistenz, die deutsch-französische Freundschaft und die beginnende europäische Einigung. Manches im Westen sah er aber auch sehr kritisch.
Stepinac hatte einen Arzt aus Freiburg, der ihn
während seines

Hausarrests medizinisch behandelte

Živa zajednica: Ihr Buch hat 592 Seiten. Sie haben es auf der Grundlage authentischer Quellen, aber auch auf der Grundlage einer Auswahl anderer und sonstiger Literatur geschrieben. Besonders interessant sind auf
jeden Fall Ihre Recherchen über den seligen Alojzije Stepinac in den Archiven deutscher (Erz-)Bistümer: Berlin, Freiburg, München und Speyer, wie auch im Historischen Archiv des Südwestrundfunk (SWR) in Stuttgart und im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin. Zu welchen Erkenntnissen im Einzelnen sind Sie gelangt?

Dr. Claudia Stahl: Die Quellen zeigen, wie aufmerksam das Schicksal von Kardinal Stepinac in der jungen Bundesrepublik der 1950-er Jahre verfolgt wurde. Er war bei uns eine bekannte Persönlichkeit. Die deutsche Botschaft in Belgrad berichtete dem Auswärtigen Amt regelmäßig über ihn. Einige Deutsche waren so fasziniert von ihm, dass sie ihn insgeheim und unter abenteuerlichen Umständen in seinem Hausarrest besuchten. Hinterher schickten sie ihre Erfahrungsberichte an deutsche Bischöfe. Stepinac hatte auch einen Arzt aus Freiburg, der ihn während seines Hausarrests medizinisch behandelte. Im damals geteilten Bistum Berlin erregte der gefangene, schwer leidende Erzbischof von Zagreb besonders viel Aufmerksamkeit.

Das Buch zeichnet die wesentlichen Stationen seines Lebens chronologisch nach

Živa zajednica: Das Buch haben Sie in acht Teile eingeteilt: Bauernsohn und Offizier (1898-1924), priesterliche Formung (1924—1934), Erzbischof im ersten Jugoslawien (1934—1941), Wirken im Unabhängigen Staat Kroatien (1941-1945), Verurteilung im kommunistischen Jugoslawien, Im Gefängnis (1946—1951), Hausarrest und Tod (1951-1960), Wirkung nach dem Tod. In welchem Maß ist es Ihnen durch diesen Zu­gang gelungen, das gesamte Leben und Wirken des seligen Alojzije Stepinac abzudecken?

Dr. Claudia Stahl: Das Buch zeichnet die wesentlichen Stationen seines Lebens chronologisch nach. Stepinac musste sich als Erzbischof in drei verschiedenen Staatsgebilden behaupten und mit den großen Ideologien des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen. Deshalb habe ich den geschichtlichen und kirchlichen Hintergrund dargestellt, soweit das für das Verständnis von Stepinacs Leben und Wirken erforderlich schien und sofern es zu bestimmten Fragen überhaupt schon gesicherte historische Erkenntnisse gibt.

Živa zajednica: Sie sind von Beruf Juristin. In welchem Maß hat Ihnen diese Erfahrung beim Schreiben des Buches bei der Sicht auf den Seligen und seine Zeit aus dieser Perspektive geholfen?

Dr. Claudia Stahl: Ich fühle mich nicht dazu berufen, über den seligen Alojzije ein Urteil zu sprechen. Ich denke, dass sich jeder Leser sein eigenes Bild machen sollte. Stepinac musste als verantwortlicher Erzbischof Entscheidungen in sehr schwierigen Situationen treffen. Ich habe in meinem Buch die Argumente, die für und gegen ihn sprechen, dargestellt und abgewogen. Als Juristin kann ich sagen, dass seine Verurteilung 1946 völlig unhaltbar war. Kirchlich gesehen liegt die Entscheidung über seine Heiligsprechung jetzt beim Heiligen Vater, bei Papst Franziskus.

Stepinac bekannte seinen Glauben unerschrocken

Živa zajednica: Ihr Buch kommt zur rechten Zeit. Wahrscheinlich wird die Kirche den seligen Alojzije Stepinac bald heilig sprechen. Was zeichnet ihn Ihrer Meinung nach besonders aus, und was stellt das besondere Vermächtnis seiner Heiligkeit für die Katholische Kirche dar?

Dr. Claudia Stahl: Stepinacs Leben ist eine moderne Heiligengeschichte. Er half Notleidenden und Verfolgten ohne Rücksicht auf Religion, Herkunft oder Rasse und stand besonders den Schwäch­sten bei. Er bekannte seinen Glauben unerschrocken, in großer Einfachheit, im persönlichen Leiden und in Solidarität mit allen Leidensgenossen. Als er 1946 als Verbrecher gebrandmarkt und geächtet wurde, war er zum Schweigen verurteilt und verlor seine äußere Macht. Etwa die Hälfte seiner Amtszeit als Bischof, immerhin 13 Jahre, verbrachte er im Gefängnis und im Hausarrest. Er hätte ins westliche Ausland emigrieren können. Aber er wollte bei seinen Gläubigen bleiben, auch als er bereits todkrank war. Je machtloser er war, desto mehr blickten die Menschen auf ihn. Das ist noch heute das Geheimnis seiner Anziehungskraft. Auch die Kirche in Deutschland sollte dieses große Zeugnis in ihrem Gedächtnis bewahren.

Živa zajednica: Und zu guter Letzt, was bedeuten Ihnen persönlich Leben und Wirken des seligen Alojzije Stepinac?

Dr. Claudia Stahl: Der selige Alojzije Stepinac ist mein Firmpatron. Ich habe seine Fürsprache erfahren und verdanke ihm sehr viel. Papst Johannes XXIII. sagte nach Stepinacs Tod im Februar 1960 beim Requiem im Petersdom: „Er war meiner Seele sehr lieb.“ Dem möchte ich mich anschließen.

Interview: Dr. sc. Adolf Polegubić

Živa zajednica, 3-4/2018.